Die Atomenergie ist weltweit auf dem Rückzug. Zum Jahresbeginn wurden 7 Reaktoren (1) in Europa abgeschaltet. Medial findet das kaum Beachtung. Durch den Bau des finnischen Reaktors „Olkiluoto 3″ wird vielmehr das Bild erzeugt, dass sich Deutschland mit dem „Atomkonsens“ auf einem Sonderweg befinde.
Im Mai 2002 beschloss das finnische Parlament mehrheitlich den Neubau eines AKWs in Finnland und damit den ersten Reaktorneubau in Europa seit der Katastrophe von Tschernobyl 1986. Der Druckwasserreaktor EPR sollte ohne staatliche Beihilfen gebaut werden und Ende 2009 ans Netz gehen.
Die Abkürzung EPR steht ausgeschrieben für „European Pressurized Water Reactor“. Das Konzept des EPR basiert auf einem, von Siemens und dem französischen Staatskonzern Framatom, in den 90er Jahren entwickelten Druckwasserreaktor. Nach der Fusion der Framatom mit der nuklearen Sparte von Siemens zum Konzern Avera NP wurde das Modell weiter entwickelt. Nach Angaben des Konzern soll es sich bei Olkiluoto 3 um einen „große[n] fortschrittliche[n] Druckwasserreaktor mit evolutionären Merkmalen“ handeln (5). Die Kosten von 3 Millarden Euro (2) sind für einen Reaktor solcher Größe unrealistisch kalkuliert, nach Expertenansicht sind eher 4 Milliarden Euro wahrscheinlich (3).
Die vorgeblich „evolutionären Merkmale“ liegen in dem, gegenüber jetzigen Reaktoren, veränderten Sicherheitskonzept. Allerdings muss dieses kritisch bewertet werden. Schon auf Grund seiner Leistung von 1600 MW ist der Reaktor nach Ansicht der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW nicht so konstruiert, dass eine Kernschmelze ausgeschlossen werden kann (6). Im Fall einer Kernschmelze soll das nukleare Material in ein Keramikauffangbecken, dem Core Catcher, auf einer Rampe hinunter gleiten, sich gleichmäßig verteilen und dort mit Wasser gekühlt werden. Das Becken muss allerdings völlig trocken sein. Andernsfalls, so wies der saarbrückner Prof. Dr. Reimann nach, könne es bei Kontakt mir der Schmelze zu Explosionen kommen, die Menge des Wasser sei dabei unwesentlich.
Zudem soll in dem Reaktor eine digitale Leittechnik zum Einsatz kommen, die bei einem Test im Atomkraftwerk Neckarwestheim-1 versagte. Der deutsche Meiler besitzt im Gegensatz zu dem, sich im Bau befindlichen, Reaktor Olkiluoto 3 allerdings noch ein analoges Sicherheitssystem. Auch bei den Sicherheitssystemen kommen weiterhin vor allem „aktive Sicherheitssystem“ zum Einsatz, die Strom benötigen, statt passiven, die nach einfachen physikalischen Naturgesetzen funktionieren.
Und natürlich produziert der vermeintlich „moderne“ Reaktor, genauso viel Atommüll wie seine Vorgänger und wirft genauso viel atomwaffenfähiges Material ab. Auch das Uranerz muss weiterhin gewonnen werden. Bei dem ersten Reaktornachbau seit 1986 handelt es sich also mitnichten um den so oft propagierten großen Wurf.
Fünf Jahre nach dem Beschluss des Parlamentes und knapp eineinhalb Jahre nach der Grundsteinlegung ist von der Euphorie nicht mehr viel übrig geblieben. Beim Bau des Reaktors wurde gefuscht: der Beton ist porös, da die Betonmischung fehlerhaft war. Das fiel erst auf, nachdem bereits 40.000 von 250.000 Kubikmetern Beton gegossen wurden (siehe 2). Im März stellte die finnische Strahlenschutzbehörde STUK weitere Baumängel fest, zu denen sie sich aber nicht weiter äußerte. (7) Die Bauverzögerungen belaufen sich inzwischen auf knapp 6 Monate. Für den Konzern Areva NP könnte das Schadenersatzansprüche von 600 Millionen Euro bedeuten, die mit den üblichen Vertragsstrafen ein erheblichen wirtschaftlichen Schaden darstellen, denn inzwischen wird davon ausgegangen, dass der Reaktor erst Ende 2010 oder gar 2011 ans Netz gehen kann. (8) Auch kommt der Reaktor keinesfalls wie beschlossen ohne staatliche Subventionen aus. So wird sein Bau durch einen niedrigen Staatskredit von 2,9% finanziert (9). Vorzugskredite erhält das Projekt durch die Bayrische Landesbank und die französische Exportkreditagentur Cofarce. Normalerweise sichert letztere der Exportprojekte in risikoreiche Entwicklungs- und Schwellenländer ab. (10)
Inzwischen wirken Sätze aus Pressemitteilungen der Atomlobby eher lächerlich. So hatte das „Deutsche Atomforum“ am Tag des Beschlusses jubiliert, dass die Finnen eine verantwortungsvolle Lösung für ihre drängenden Energieprobleme gefunden hätten. Für Schadenfreude ist allerdings kein Anlass, da es auf Grund des Prestigecharakters des Projektes nicht davon auszugehen ist, dass das Projekt aufgegeben wird, steigt mit zunehmenden Zeitdruck auch die Wahrscheinlichkeit von bautechnischen Fehlern und damit auch die Gefahr für viele Menschen.
(1) http://www.taz.de/pt/2007/01/05/a0106.1/text
(2) http://www.taz.de/pt/2006/02/20/a0117.1/text
(3) http://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/projekte/euroreaktor/dereuroreaktor.htm
(4) http://www.kernenergie.net/r2/de/Presse/Pressearchiv/DAtF/artikel/2002-05-24_Finnlands_Entscheidung.php
(5) http://www.areva-np.com/scripts/info/publigen/content/templates/show.asp?P=1655&L=DE&SYNC=Y
(6) http://www.ippnw.de/Atomenergie/Atomenergie_&_Sicherheit/article/Sicherheitstechnische_Defizite_des_Europaeischen_Druckwasser-Reaktors_EPR.html?swip=ad400090d4f325e9ca8d3304800947c8
(7) http://www.x1000malquer.de/pa61117.html
(8) http://de.wikipedia.org/wiki/Areva_NP
(9) http://www.ippnw.de/Atomenergie/Atom-Privilegien/?swip=3cb2fb6c5ea5b806960c65945ec7fcf2
(10) http://www.eurosolar.de/de/index.php?option=com_content&task=view&id=514&Itemid=8